(Außer-)Parlamentarische Rechte: Wie aus einem Neonazi-Skandal ein „Spitzelskandal“ wird…

von Heribert Schiedel

Die neonazistische Homepage alpen-donau (1) brüstet sich seit ihrer Etablierung im Frühjahr 2009 mit besten Kontakten zur FPÖ. So fanden sich dort bis vor kurzem immer wieder interne Dokumente aus dem freiheitlichen Nationalratsklub, welche den Neonazis angeblich „per Netzpost zugespielt“ worden sind. Am 25. Mai veröffentlichte man etwa einen Brief des FPÖ-Abg. Peter Fichtenbauer an einen serbischen Holocaustüberlebenden. Gleiches tat man auf einer deutschen Neonazi-Site, wobei hier aber vergessen wurde, die Adresszeile weg zu schneiden. Damit war öffentlich, dass der Brief am selben Tag, an welchem er für die Neonaziseiten eingescannt wurde, von der Wohnung des ehemaligen FPÖ-Politikers John Gudenus gefaxt worden war. Zu dieser Wohnung soll laut Medienberichten auch dessen Sohn Markus Zugang haben. Der parlamentarische Mitarbeiter von Heinz-Christian Strache behauptete aber gegenüber dem Kurier (12.7.09), die Adresse und Telefonnummer der väterlichen Wohnung gar nicht zu kennen…

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Martin Grafs Parlamentsführung und anschließender Gedankenaustausch bezüglich Bildung und Wissenschaft für bzw. mit einer Abordnung oberösterr. Schüler und Studenten am 13. Februar 2009 (Foto: Parlamentsdirektion/Bildagentur Zolles/Mike Ranz)

Derart in der Bedrouille ging man dann wieder einmal zum Gegenangriff über und unterstellte dem Grünen-Politiker Karl Öllinger, der in diesem Fall recherchierte, kurzerhand einen illegalen „Spitzelangriff“ auf die FPÖ. Als „Beweis“ diente ein von unbekannter Seite entwendeter und unter ungeklärten Umständen in FPÖ-Besitz gelangter Emailverkehr zwischen Öllinger und einem oberösterreichischen Computerexperten der Kriminalpolizei, welcher u. a. der Fall Fichtenbauer-Gudenus zum Inhalt hatte. Laut dem Büro des FPÖ-Nationalratspräsidenten Martin Graf sei ein Ausdruck der Emails in einem Drucker gefunden worden. Eine andere Version gab hingegen Strache zum Besten: Bei den Grünen gäbe es einen Informanten, der bei den „kriminellen“ Machenschaften nicht länger mitmachen wollte. So oder so, auf jeden Fall veröffentlichten die Freiheitlichen zunächst nicht den gesamten Emailverkehr. Grafs Büroleiter und „Leibfux“ bei der rechtsextremen Burschenschaft Olympia, Walter Asperl, nahm einige bezeichnende Kürzungen vor. Erst nachdem Öllinger auf dieses Faktum hingewiesen hatte, veröffentlichte auch das Graf-Büro den Emailverkehr vollständig. (2)

Der von der FPÖ denunzierte Experte ist in der NS-Szene verhasst, seit er im Prozess gegen den neonazistischen Bund freier Jugend (BFJ) als Sachverständiger wichtige Argumente im Sinne der Anklage vortrug. Nun sollte er ins Visier der parlamentarischen Rechten gelangen: Strache behauptete am 10. Juli in einer APA-Aussendung, der Polizeibeamte würde „offensichtlich in seiner Dienstzeit“ und „im Auftrag der Grünen (…) politisch Andersdenkende“ überwachen. Dort, wo „Andersdenkende“ angeblich verfolgt werden, ist auch das DÖW nicht weit, und so behauptet der FPÖ-Chef in einer weiteren Aussendung, es hätte gemeinsam mit den Grünen und dem oberösterreichischen Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung „Dossiers“ über FPÖ-Politiker angelegt. Tatsächlich gibt es im DÖW öffentlich einsehbare Sammlungen von (meist skandalösen) öffentlich getätigten Aussagen freiheitlicher Führungskader und Artikel über deren Tätigkeiten. Wie sooft machten sich nun FPÖ-Abgeordnete wieder mal zu Opfern und versuchten unterm Schutz der parlamentarischen Immunität, aus einem integren Beamten einen Kriminellen zu machen. So unterstellte Werner Neubauer dem Computerexperten, „Urkundenfälschung“ betrieben zu haben.

Der Linzer FPÖ-Kader und RFJ-Obmann Detlef Wimmer, der aufgrund der engen Kontakte zwischen BFJ und RFJ in Oberösterreich immer wieder in Argumentationsnotstand gekommen ist, geht noch einen Schritt weiter und verlangt gleich die Auflösung des „sattsam bekannte(n) DÖW“, falls dieses in den „Spitzelskandal“ verwickelt sei. Bereits am 11. Juli veröffentlichte auch die maßgeblich aus den Resten des BFJ hervorgegangene alpen-donau-Seite den Emailverkehr zwischen Öllinger und dem Linzer Kripobeamten. In der Folge beschäftigte man sich wiederholt mit dem konstruierten „Skandal“, wobei man die FPÖ in aller Öffentlichkeit berät, wie sie sich im kommenden Untersuchungsausschuss zu verhalten habe. Die Neonazis hoffen, dass es der FPÖ gelingt, die „Krake der antifaschistischen Verseuchung diverser Geheimdienste und anderer staatlicher Stellen bloßzustellen.“

Wenn auch angesichts der gemeinsamen Feinde parlamentarische und außerparlamentarische Rechte ihre Differenzen wieder mal hintanstellen, machte sich in der heimischen Neonaziszene zuletzt auch Ernüchterung breit. So sieht alpen-donau in Martin Grafs „Heimatseite“ unzensurierteinen „Beweis für die herrschende Unfreiheit“, musste sich diese doch unlängst von den Neonazis öffentlich distanzieren. Damit hätten die Kameraden aus dem Graf-Büro, das seit Anfang Juli ohne den umstrittenen parlamentarischen Mitarbeiter Sebastian Ploner auskommen muss, gezeigt, dass sie „offensichtlich Angst vor dem eigenen Ideal haben.“ Ganz nach dem Geschmack der Neonazis war hingegen eine kirchenfeindliche Aussendung des FPÖ-Vizes Norbert Hofer: Unter dem Titel „Katholische Kirche mal wieder auf der Seite der Feinde unseres Volkes“ übernahm man am 10. Juli den APA-Rundumschlag des „ehrlichen Streiter(s)“ gegen katholische KritikerInnen der FPÖ. Diese „Moralinsäureverspritzer“ oder „Initiatoren der Kampagne gegen Nächstenliebe und für Fernstenliebe“ werden in Hofers Aussendung und auf der Neonazisite namentlich angeführt.

(1) vgl.: http://www.doew.at/projekte/rechts/chronik/2009_05/alpen-donau.html
(2) vgl.: http://www.gruene.at/uploads/media/oelli_1_2.pdf



Heribert Schiedel, geboren 1967, Mitarbeiter im Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW), Abteilung Rechtsextremismusforschung; Berichterstatter für das Stephen Roth Institute for the Study of Contemporary Anti-Semitism and Racism an der Universität Tel Aviv; Mitglied der Redaktion von Context XXI; Forschungs- und Publikationsschwerpunkte: Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus, FPÖ und Burschenschaften; Zahlreiche Vorträge und Veröffentlichungen zu diesen Themen; "Der rechte Rand - Extremistische Gesinnungen in unserer Gesellschaft".


Update 22.07.2009:

Die mittlerweile nur mehr über Umwege zu erreichende NS-Site alpen-donau triumphierte angesichts eines bezeichnenden Etappensieges der FPÖ: „Lautstark forderte die FPÖ gestern (21. 07.2009, Anm. H.S.) per Presseaussendung Aufklärung darüber“, ob der verhasste und als „Datenfälscher“ denunzierte Linzer Beamte „nun endlich suspendiert ist.“ Die Neonazis weiter: „Gut eine Stunde später reagierte das Landespolizeikommando Oberösterreich. Zur Suspendierung (…) sagte der stellvertretende Landespolizeikommandant Franz Gegenleitner, daß die Entscheidung nach ausführlicher Abwägung und unter Beachtung des Beamtendienstrechtsgesetzes erfolgt sei.“

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